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Weiteres Urteil zur Mietpreisbremse.

Neben dem Amtsgericht Lichtenberg (vgl. Pressemitteilung Nr. 51/2016) hat sich auch das Amtsgericht Neukölln mit der Verordnung über die sogenannte Mietpreisbremse auseinandergesetzt und ebenfalls zugunsten des Mieters entschieden: In dem am 8. September 2016 verkündeten, noch nicht rechtskräftigen Urteil wurde die Vermieterin verurteilt, an ihren Mieter überhöhte Miete von monatlich je 221,09 EUR netto kalt, insgesamt 1.105,45 EUR, zuzüglich Zinsen für fünf zurückliegende Monate zurückzuzahlen. Zugleich wurde eine entsprechende Feststellung getroffen, dass die mit 725,00 EUR netto kalt vereinbarte Miete in Höhe des Betrages von 221,09 EUR unwirksam sei. In dem Urteil erfolgte eine ausführliche Prüfung, ob die Verordnung verfassungsgemäß sei. Das Amtsgericht Neukölln bejahte dies im Ergebnis.

Die Parteien des Rechtsstreits hatten Anfang Juli 2015 einen Mietvertrag über die Vermietung einer 76,35 m² großen, in Berlin-Neukölln gelegenen Wohnung abgeschlossen. Danach betrug die von dem Mieter zu zahlende Miete 9,50 EUR netto kalt pro Quadratmeter. Die Vormieterin hatte zuletzt 419,00 EUR netto kalt (ca. 5,49 EUR/m²) als monatliche Miete gezahlt. Der Mittelwert nach dem Berliner Mietspiegel 2015 für vergleichbare Wohnungen beträgt gemäß Feld G 1 pro Quadratmeter 5,62 EUR netto kalt. Der Mieter wandte sich mit zwei Schreiben vom 22. Juli und 25. September 2015 an die Vermieterin und beanstandete, dass die zu zahlende Miete im Hinblick auf die seit 1. Juni 2015 in Berlin geltende Mietenbegrenzungsverordnung um 221,42 EUR monatlich zu hoch sei. Da es zu keiner Einigung kam, erhob der Mieter nachfolgend Klage. Er forderte die Rückzahlung der nach seiner Auffassung überhöhten Miete für die Monate August bis einschließlich Dezember 2015 und begehrte die Feststellung, dass die Miete in Höhe von 221,42 EUR netto kalt unwirksam sei.

Das Amtsgericht Neukölln gab dem Mieter fast vollständig Recht. Die gesetzliche Ermächtigung für die Mietenbegrenzungsverordnung finde ihre Grundlage in § 556 d Abs. 2 BGB und begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken: Die Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs sei hinreichend bestimmt. Denn bei verfassungskonformer Auslegung sei den Landesregierungen kein Spielraum eingeräumt, ob sie eine solche Verordnung erlassen oder nicht. Vielmehr bestehe eine Verpflichtung, sofern ein angespannter Wohnraummarkt bestehe. Soweit in das Grundrecht des Eigentums eingegriffen werde, indem der Eigentümer in der Festlegung der Miethöhe bei Neuvermietung beschränkt werde, sei dieser Eingriff aus Gemeinwohlerwägungen gerechtfertigt. Denn es solle die „Gentrifizierung“ verhindert werden.

Der Erlass einer solchen Verordnung sei auch geeignet, das Ziel zu erreichen. Es komme dabei nicht darauf an, ob es effektivere Mittel gebe. Die Mietpreisbremse sei ferner erforderlich, da nur sie kurzfristig zu wirken vermöge. Schließlich habe der Gesetzgeber auch in angemessener Weise die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Denn eine Wohnung habe existenzielle Bedeutung für den Einzelnen. Die Eigentumsgarantie werde nicht geschützt, soweit überhöhte Mietpreise in Ausnutzung einer Mangellage verlangt würden. Denn dadurch werde die soziale Funktion des Eigentums missachtet. Den Interessen der Eigentümer werde Rechnung getragen, indem die Verordnung u.a. nur für eine Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden dürfe. Auch nehme § 556 d BGB auf die ortsübliche Vergleichsmiete Bezug. Da zu erwarten sei, dass in nachfragestarken Gebieten die Mieten – nicht zuletzt durch den erlaubten Zuschlag von 10% – weiterhin ansteigen würden, werde der Marktbezug gewahrt.

Auch die Verordnung selbst sei nicht rechtswidrig. Der Kontrollmaßstab sei allerdings eingeschränkt. Es dürfe nur geprüft werden, ob die Landesregierung ihren Beurteilungsspielraum überschritten habe. Dies sei zu verneinen, da sie für die vier Indizien gemäß § 556 d Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 4 BGB und für ein weiteres Indiz (nämlich das der Entwicklung der Differenzen zwischen Angebotsmieten und ortsüblichen Vergleichsmieten in Berlin) konkrete empirische Untersuchungen vorgelegt habe.

Schließlich könne auch nicht beanstandet werden, dass die Verordnung für das gesamte Gebiet von Berlin gelte, da sonst der Zweck, nämlich die Vermeidung von Gentrifizierung, nicht erreicht werden würde.

Vorliegend werde gegen § 556 d Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Mietenbegrenzungsverordnung verstoßen. Um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln, sei der Mietspiegel 2015 als Schätzungsgrundlage heranzuziehen. Nach dem maßgeblichen Feld G 1 und unter Berücksichtigung der unstreitigen Zu- und Abschläge betrage die ortsübliche Vergleichsmiete 6,00 EUR/m². Auf die von der Vermieterin benannten 23 Vergleichswohnungen komme es nicht an. Zulässig sei inklusive des Zuschlags von zehn Prozent mithin nur eine Höchstmiete von 6,60 EUR/m², d.h. von insgesamt von 503,91 EUR netto kalt. Die Differenz von je 221,09 EUR für die Monate August bis Dezember 2015 müsse die Vermieterin daher an den Mieter zurückzahlen.

Schließlich liege auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, soweit der Mieter zwei der drei Zimmer zeitweise für 20,00 EUR bzw. 25.00 EUR brutto warm pro Quadratmeter vermietet habe.

Achtung!

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sondern die Vermieterin hat dagegen Berufung beim Landgericht Berlin zum Aktenzeichen 65 S 424/16 eingelegt.

Quelle: Pressemitteilung (PM 54/2016) der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Berlin vom 20.10.2016 zur Entscheidung Amtsgericht Neukölln, Urteil vom 8. September 2016, Aktenzeichen 11 C 414/15.